Mittwoch, 9. Mai 2007

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Daina ist heute früher von der Arbeit zurück gekommen. Nach einem anstregenden Tag hat man sie belohnt. Heute kann sie eine Stunde länger damit zubringen nicht an die Arbeit zu denken. Sie wird eine Stunde länger zu Hause auf der Couch vor ihrem kleinen Fernseher liegen. Wenn sie wieder etwas Kraft getankt hat wird sie sich ihren Fantasien hingeben, den Gedanken daran, wie es wäre wenn es anders wäre. Wenn sie dieses Leben voller Freiheit, Begeisterung und Tatendrang hätte, wenn sie sich täglich neuen erotischen Abenteuern hingeben könnte, wenn sie sich in ihrer Freizeit nicht von der Arbeit erholen müsste, wenn sie mehr Zeit hätte. Für Daina sind das nicht nur Fantasien. Es ist ihre Zukunft, die sie vor sich sieht. Etwas utopisch, etwas optimistisch, etwas realitätsfremd. Aber sie ist überzeugt, wenn sie nur hart genug dafür arbeitet, wenn sie nur genug Opfer bringt, dann besteht zumindest die Chance auf eine Zukunft, wie sie sie sich vorstellt. Und wenn die Wahrscheinlichkeit noch so gering ist, Daina wird weiter kämpfen. Nur noch diese und jene Hürde überwinden, dann kann ihr eigentliches Leben beginnen.

Was Daina nicht weiß - ihr Leben hatte schon längst begonnen, es gefiel ihr nur nicht. Ich weiß das, denn ich beobachte sie. Als ich noch unter euch war, war ich ihre wichtigste Stütze. Was ist sie - ohne mich?

Auch sie selbst hat sich diese Frage gestellt. Was ist sie ohne mich. Ich war ein Teil dieses Lebens, ich habe ihr Leid geteilt, mich an ihrem Leid erfreut, denn es ließ mein eigenes gering erscheinen. Doch ich wusste, dass dieses Leben nicht mein Leben war und so setzte ich ihm ein Ende. Sie muss weiter kämpfen. Zu Beginn sah es so aus als würde sie scheitern, ich beobachtete sie in ihrer Verzweiflung und es bestätigte mich in meiner Entscheidung. Wenn ich sie sah, dachte ich mir immer - so warst du einst, es hätte dich zerstört. Ich war mir somit sicher, dass es keinen Sinn gemacht hätte länger durchzuhalten. Mein Selbstmord war nur die logische Konsequenz aus diesem nicht lebenswerten Leben. Nichts weiter.
Und dennoch kann ich mir nicht helfen, wenn mir die Tränen kommen, wenn die Zweifel in mir aufsteigen. Ich weine, ich schreie und scheitere daran, meine Gedanken zu ordnen. Manchmal scheint mir, als hätte ich aufgegeben, als hätte ich durchhalten müssen. Der Tod hat meine Welt nicht verändert. Ich bin noch immer die selbe, doch mir scheint, als hätte ich einen Teil meiner Selbst verloren.
Doch dann sage ich mir: der leichtere Weg ist nicht immer der schlechteste - und der leichtere Weg ist in Wirklichkeit meist der schwerste.

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