Donnerstag, 2. August 2007
Die Nacht war lang. Daniel langweilte sich. Wenn man über genügend Zeit verfügt um soviel fernzusehen wie man will, dann kann es einem schnell langweilig werden, das hatte er schon herausgefunden. Er nahm die Fernbedienung und schaltete den Fernseher aus. Es war stickig geworden. Er öffnete die Balkontür und trat hinaus ins Dunkel der Nacht und atmete tief ein. Vor ihm erstreckte sich das bunte Lichtermeer der Stadt.
Mittwoch, 1. August 2007
Daniel hatte Gefallen daran gefunden mit Joachim um die Häuser zu ziehen, sich abends in irgendwelchen Bars zu betrinken. Wenn sein Freund arbeiten musste langweilte er sich und verschwendete seine Zeit vor dem Fernseher.
Obwohl er nun wusste, dass er sein Leben ändern sollte, hatte er nicht die geringste Ahnung wie.
Eines Abends saß Daniel am Balkon seines neuen Zuhauses und betrachtete die Lichter der Stadt. Er fühlte sich schrecklich klein im Vergleich zu den Hochhäusern und all den Menschen, die zielstrebig die Straßen entlang gingen. Das war es was er wollte, er wollte ein Ziel im Leben haben, ein richtiges, eines, das es wirklich wert war dafür seine Zeit zu verwenden. Während er dachte stieg im Zigarettenrauch in die Nase, es ging leichter Wind. Er spürte die Sucht in sich erwachen, es war eine Stunde her seit er die letzte in seiner Packung geraucht hatte und zu bequem war um eine neue kaufen zu gehen. Der Rauch kam vom Balkon rechts von ihm. Er schielte heimlich hinüber und sah den Umriss einer Frau in der Dunkelheit, die verzweifelt an ihrem Glimmstängel zog, als ob es ihr letzter wäre. Sie blies den Rauch angestrengt in die Nachtluft als wäre er eine schwere, zähe Masse voller Gefühle, die sie aus ihrem Körper verbannen wollte.Daniel nippte an seinem Glas und merkte, dass es leer war. Er stand leise auf um nicht von der Gestalt am Nebenbalkon bemerkt zu werden, schob den im Wind wehenden Vorhang zur Seite und ließ sich mit einem neuen Glas Whiskey vor den Fernseher fallen.
Montag, 30. Juli 2007
Seine Frau zu verlassen war die schwerste Entscheidung, die Daniel je getroffen hatte. Er hatte lange darüber nachgedacht. Er hatte die Vor- und Nachteile genauestens betrachtet, hatte tagelang in sich hineingehört und dann, als er sich sicher war, dass es kein Zurück mehr geben würde, hatte er es nicht mehr übers Herz gebracht, seine Frau weiter zu belügen. Er hatte auch lange überlegt, wie es zu diesem Umschwung in seinem Denken gekommen war und die Wahrheit bestand darin, dass in den letzten Monaten, nichts mehr so funktioniert hatte, wie es sollte. Nichts bei der Arbeit ging ihm mehr einfach von der Hand, es tauchten immer mehr Probleme auf und Daniel wurde immer unglücklicher. Er erkannte, dass er seine Arbeit nur ertragen hatte, weil er nie auf Probleme gestoßen war. Als nun aber nichts mehr so lief wie er es vorgesehen hatte, als er sich immer mehr anstrengen musste um weiter erfolgreich zu sein, da plötzlich hasste er seine Arbeit, denn er erkannte, dass er nicht dazu bereit war dafür mehr als die nötige Energie zu verschwenden. Er musste feststellen, dass ihm seine Arbeit in keiner Weise am Herzen lag. Es war ihm egal ob die Aktienkurse fielen oder stiegen, die Ziele seiner Firma waren ihm nichts wert. Was ihm an seinem Job gefallen hatte, war der Erfolg, das Vorwärtskommen in der Hierarchie und die ständig wachsende Macht, über die er verfügte. Er war gut in seinem Job, auch wenn er ihn nicht besonders schätzte, doch er war gut darin und hatte sich als junger Mann dazu entschlossen seinen Talenten zu folgen und nicht seinen stets wiederkehrenden Launen.
Mittlerweile hatte er vergessen was ihn wirklich glücklich machte. Er hatte so lange seine innersten Wünsche unterdrückt, dass er sie nicht einmal mehr kannte. Jetzt schwebte er in dieser Leere, in der er nicht wusste wie seine Zukunft aussah. Dieses Gefühl beängstigte ihn, denn er kannte es nicht, und das Wissen darüber, dass dieses Gefühl der Orientierungslosigkeit ihn wohl lange begleiten würde bedrückte ihn. Es war ihm als taumle er im leeren Raum.
Seine Arbeit hatte er gekündigt noch bevor er es seiner Frau erzählen konnte. Das Gefühl auf diesem Wege nie mehr glücklich zu werden, die Aussicht, höchstens wieder eine gewisse Zufriedenheit zu erreichen, lähmte ihn. Alles was er nun noch wusste war, dass er etwas ändern musste, denn der Gedanke hatte sich ihm aufgedrängt, dass er wohl nur einmal leben würde und egal was seine Bekannten und Freunde, Familie und Kollegen dachten, er musste tun was er für richtig hielt, er musste sein Leben ändern, ein für alle mal.
Lange Nächte habe ich mit ihm diskutiert, habe ihm zur Seite gestanden. Ich litt darunter, denn wenn er erwachte wusste er nicht mehr wer ich bin, solange er schlief jedoch, war ich seine wichtigste Ratgeberin. Wenn Daniel in letzter Zeit immer öfter aus dem Schlaf hochschreckte, dann war es weil er dem wahren Problem immer näher kam und es machte ihm Angst. Die Menschen lieben es, einfach vor sich hin zu leben und keine lebensverändernden Entscheidungen zu treffen. Ihnen fehlt es an Zuversicht in ihr Schicksal, sie glauben nicht daran, dass es das Risiko wert sein muss.
„Fürchte dich nicht“ sagte ich zu ihm „ich bleibe bei dir, egal was passiert.“
„Hallo Daniel“ sagte die Frau, die aus dem Bad kam mit einem Lächeln „na, ausgeschlafen?“ „Oh, hallo…tut mir leid…aber…“ „Du kannst dich wohl nicht mehr erinnern, kein Wunder, so wie du gestern losgelegt hast.“ Sie streckte ihm die Hand entgegen „Hallo, ich bin Sascha.“ „Hallo.“ Sagte Daniel verlegen. Die Situation war ihm unangenehm, er war noch nie der Typ für Smalltalk gewesen. Diese Fähigkeit, mit Unbekannten sinnlose jedoch höfliche und interessante Gespräche zu führen war ihm seit jeher ein Rätsel gewesen. Sascha hatte ihnen beiden inzwischen Kaffee eingeschenkt. „Schwarz?“ „Ja, danke.“ Sie setzte sich ihm gegenüber, nachdem sie einen Stapel Zeitungen unsanft auf den Boden befördert hatte. Daniel nippte an seinem Kaffee, verbrannte sich die Zunge und stellte die Tasse wieder hin. Sascha sah ihn „Wir haben uns gestern im Prestige kennen gelernt, weißt du noch?“ Die rote Neonschrift des Prestige tauchte vor seinen Augen auf, es war jedoch nur das kurze Aufflackern eines Gedankenfetzens. „Nein, nicht wirklich.“ „Ich bin eine Freundin von Agnes.“ Agnes war praktisch Joachims Verlobte und der Grund, warum Joachim nur selten in seiner eigenen Wohnung anzutreffen war. Daniel wunderte sich. Er hatte angenommen Sascha wäre gestern von Joachim abgeschleppt worden, doch wenn sie eine Freundin von Agnes war… „Joachim hat bei Agnes übernachtet“, sagte Sascha als sie seinen fragenden Blick sah. „Aha“, Daniel war sich nicht sicher was er davon halten sollte. „Ich muss dann auch los, ich bin zum Brunch verabredet.“ Sie stand auf, kontrollierte ihre Handtasche, gab Daniel einen flüchtigen Kuss auf den Mund und verschwand durch die Tür ins Vorzimmer. Daniel hörte noch wie sie ihren Mantel überstreifte und die Tür hinter ihr ins Schloss fiel.
- Interessant, dachte sich Daniel, anscheinend hatte er den gestrigen ersten Abend in Freiheit so richtig ausgekostet, schade nur, dass er nichts mehr davon wusste.
Daniel war heute erst spät aufgewacht. Er blickte um sich und wunderte sich im ersten Moment. Noch bevor er es sah, spürte er es. Er war allein. Als er die Augen öffnete fand er sich in einem fremden Zimmer wieder. Der Raum war unordentlich, überall stapelten sich Zeitschriften, die Wände waren voller Fotos und Postkarten. Neben dem Bett thronte ein Schreibtisch, der als einziger Einrichtungsgegenstand aufgeräumt war.
Es war das Arbeitszimmer seines Freundes Joachim. Das Bett war eine Couch. Er hatte die erste Nacht seines neuen Lebens überstanden.
Als er sich aufrichtete verwandelte sich das drückende Gefühl in seinem Kopf in einen stechenden Schmerz, der schemenhafte Erinnerungen wieder hochkommen ließ.
Er erinnerte sich an den Streit, an das Unverständnis in ihren Augen, an die Verzweiflung. Danach war alles verschwommen. Joachim und er waren in einer Bar gelandet, hatten seine Entscheidung mit Whiskey begossen und waren dann weiter gezogen. Der weitere Verlauf des gestrigen Abends war ihm völlig schleierhaft.
Stöhnend stand Daniel von der Couch auf. Das war also Joachims Arbeitszimmer. Daniel schlurfte durch das Zimmer, durch den Gang, in die Küche. Dass er die Espressomaschine hinter dem Berg unabgewaschenen Geschirrs entdeckt hatte wertete er als Triumph. Der Kaffee würde ihm gut tun, seine Lebensgeister wiedererwecken.
Nachdem er die Maschine in Gang gebracht hatte, ließ er sich auf den einzigen freien Stuhl fallen und fragte sich ob auch er bald so leben werde, allein und ohne jemanden, der einen zur Sauberkeit zwang. Die Toilettenspülung riss ihn abrupt aus seinen Gedanken. Er erwartete, dass nun Joachim aus dem Bad kommen und ihn müde begrüßen würde, sofern er sich überhaupt noch an seinen Gast erinnern konnte. Doch es war nicht Joachim.
Dienstag, 24. Juli 2007
Aber glaubt nicht, dass ich gestorben bin, weil ich Angst vor dieser Zukunft hatte. Ich hatte sie durchaus probiert, gekostet. Was mich sterben ließ, war die Wahrheit. Die Wahrheit, dass ich die letzten Jahre meines Lebens verschwendet hatte und, vor allem, die Wahrheit darüber, dass ich alleine mit dieser Wahrheit lebte und sie ertragen musste.
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Was ich weiß ist, dass jeder alleine ist, der sich noch nicht gefunden hat, denn er hat nicht einmal sich selbst zum Freund. Unser soziales Umfeld lenkt uns von dieser Einsamkeit ab. Andere Menschen helfen uns unser gebildetes Ich als das Wahre zu sehen. Solange die Akzeptanz der anderen gegeben ist, solange ein Mensch in dem festen Glauben lebt, zufrieden zu sein, solange glaubt er daran, sich seinen Lebensweg selbst ausgesucht zu haben.
Dies trifft jedoch nur in wenigen Fällen tatsächlich zu.
Manchmal bedarf es einem Bruch, einem Ereignis, dass uns zwingt unser Leben aus der Ferne zu betrachten. Erst dann kann es uns gelingen uns selbst zu finden und unser Leben selbst zu bestimmen.
Als ich noch lebte wurde mir ein solcher Bruch aufgezwungen. Den Mann, den ich glaubte zu lieben, liebte ich nicht. Das zu erkennen gelang mir jedoch erst, als ein anderer Mensch in mein Leben trat, den ich liebte ohne Grund, ohne Auslöser und ohne Ende. Diese Erkenntnis drängte mich dazu auch die anderen Bereiche meines Lebens näher zu betrachten. Sofort wurde mir klar, dass auch mein Beruf mich nicht glücklich machte. Er beschäftigte mich, er störte mich nicht wirklich, aber er entsprach weder meinem Wesen noch meinen Fähigkeiten. Er trug nichts dazu bei, mein Leben lebenswert zu machen.
Das Problem dabei, sein Leben zu überdenken und die Wahrheit zu erkennen, ist, dass es danach kein Zurück mehr gibt. Glaubt mir, ich habe es versucht. In solchen Momenten bleibt uns nichts, als der Weg nach vorne, nach vorne ins Ungewisse, in die Zukunft. Und man fürchtet sich, man fürchtet sich zu Tode.
Nichts in unserem Leben ist vorbestimmt. Niemand muss tun was andere von ihm verlangen. Die wahre Freiheit besteht wohl darin, den Mut aufzubringen das zu tun, was die Welt nicht von einem erwartet.
Montag, 23. Juli 2007
Samstag, 9. Juni 2007
Als Daina aus der Arbeit kam war sie erschöpft. Es war Montag und sie hatte den ganzen Tag lang Telefonate mit Geschäftspartnern geführt. Wenn sie mal ein paar Augenblicke Zeit hatte zu verschnaufen, wanderte ihr Blick zu dem Schreibtisch im Büro gegenüber, an dem ich einst gesessen hatte und an dem nun eine hübsche, dynamische Jungakademikerin saß und ihr bestes gab um vor dem Chef einen gute Figur zu machen. Daina erinnerte sich noch genau an meine Tischpflanze, die Fotos von Freunden und die vielen kleinen bunten Notizen, die ich mir auf meinen Bildschirm zu kleben pflegte.
Es schien ihr, als würde diese neue Person in jeder Sekunde, die sie an diesem Tisch arbeitete, mein Andenken schänden. Mein Tod hatte schlussendlich dazu geführt, dass sich Daina hin und wieder Gedanken darüber machte, was es im Leben außer der Arbeit und ihrem kleinen Fernseher sonst noch geben könnte und manchmal, vor allem in diesen traurigen und einsamen Momenten, schien es ihr, als gäbe es Dinge, die viel größer und bedeutender sind als all diese alltäglichen Begebenheiten.
In den letzten Jahren war Daina vermehrt auf der Suche nach Liebe gewesen. Sie hatte nach diesem einen Partner gesucht, der sie unterstützt wenn es ihr schlecht geht, der sie pflegt, wenn der Stress überhand nimmt. Und doch hatte sie nie jemanden gefunden, der lange bei ihr bleiben wollte, denn was sie nicht verstanden hatte war, dass diese Dinge, nach denen sie bei ihren Partnern gesucht hatte, nicht die wahre Liebe waren. Dies waren nur die Bequemlichkeiten einer Beziehung, nicht ihre Quelle.
Eines morgens wachte Daniel auf und erkannte, dass er allein war. Er lag in seinem Bett und spürte neben sich den Atem seiner Frau an seiner Schulter. Doch es war nicht seine Frau. Es war die Frau des Mannes, der aus ihm geworden war, den die Arbeit und das Streben nach Erfolg aus ihm gemacht hatten. Es war nicht er, dieser Mann war ihm nicht einmal ähnlich. Nicht er war der Mann, den diese Frau liebte. Sie liebte den Mann, der gelernt hatte es allen recht zu machen, sich anzupassen, um in jede Backform und jedes Klischee zu passen wenn dies nötig war. Dieser Mann war nur noch eine Mischung aus all den Ansprüchen, die sein Umfeld an ihn hatte. Er verfügte nicht mehr über einen eigenen Stil, eigenen Humor, eigene Träume. Um Erfolg zu haben hatte er sich selbst verkauft und er hatte es nicht einmal gemerkt.
Eines morgens wachte Daniel auf und erinnerte sich daran wie er einmal gewesen war. Er war nicht fehlerfrei, makellos oder jedem sympathisch, er war einfach Daniel gewesen. Daniel, ein Mensch mit Fehlern, Ecken und Kanten. So wie Menschen eben sind bevor sie die Gesellschaft zurechtschleift.
Eben an diesem morgen erkannte Daniel, dass ihn der Erfolg weder glücklich noch zufrieden gemacht hatte und als er in den Spiegel blickte erkannte er sich selbst nicht mehr. Er sah den Haarschnitt, den sein Vorgesetzter mochte, das glatt rasierte Gesicht, das seine Kunden so schätzten und den Ring an seinem Finger, der nötig gewesen war um ihm die notwendige gesellschaftliche Stellung zu verschaffen.
Er beobachtete seine Frau, wie sie langsam aufwachte und begriff, dass sie nur seine aufgesetzte Fassade und nicht sein eigentliches Ich liebte, denn dieses kannte sie kaum. Und er wusste, dass auch er sie nicht liebte. Nicht sein eigentliches Ich.
Sonntag, 27. Mai 2007
Wenn ich nur wüsste was ich tun soll, was mir aufgetragen wurde, was mir vorherbestimmt ist. Ich beobachte und genieße es, mit welcher Leichtigkeit ich sein darf. Mir scheint die Freiheit nach der ich gestrebt habe ist nichts mehr wert.
Ich bin gefesselt und leide, denn dieser Mensch zieht mich in seinen Bann.
Samstag, 19. Mai 2007
Sein Name war Daniel.
Daniel war jemand der niemals aufgibt, jemand der durchhält, was es auch kostet, um am Schluss als Sieger hervor zu gehen. Daniel war das so gewöhnt. Schon in seiner Jugend hatte er alles gemeistert was auf ihn zugekommen war, war Schwierigkeiten nie aus dem Weg gegangen, hatte gelernt, dass mit genügend Selbstbeherrschung alles möglich war.
Das Leben nahm die Herausforderung an und stellte Daniel vor immer neue Hürden und legte ihm Steine in den Weg. Doch er kämpfte, er rang mit sich selbst um weiter durchzuhalten. Sein Geist war seinem schwachen Körper weit überlegen.
Eines morgens erwachte Daniel schweißgebadet und musste erkennen, dass Willenskraft nicht immer ausreicht. Eines morgens hatte das Leben gesiegt und Daniel in seine Schranken verwiesen.
Auch wenn ihr mich nicht sehen könnt, bin ich da. Auch wenn ihr mich nicht spüren und fassen könnt, bin ich da. Die körperliche Hülle ist nicht gleichbedeutend mit unserer Existenz. Körper sprechen nicht mit Körpern. Seelen sprechen mit Seelen. Der Körper erlaubt euch gefangenen Seelen lediglich miteinander zu kommunizieren. Er ist nicht das Werkzeug, er ist euer Gefängniswärter, der Wesen wie mir den Zutritt nur allzu gerne verweigert.
Auch wenn ihr mich nicht hören könnt, hört ihr mich. Ihr hört mich in euren Träumen und Gedanken, wenn ihr in euch geht, denn dies sind nicht nicht nur eure Gedanken, es sind auch meine Worte, die ich euch einflüstere.
So sprach ich mit ihm in seinen Träumen. Jede Nacht aufs Neue, und ich erfuhr von seinen Höhen und Tiefen, von dem Leid, das er durchwanderte, von den Menschen, die ihn enttäuscht hatten, von den Menschen, die er enttäuscht hatte. Ich erkannte, dass ich ihm keine meiner Gedanken schenken musste, denn diese gehörten schon lange ihm, er war wie ich.
Freitag, 18. Mai 2007
Alles war wie zuvor. Er lag einfach nur da und schlief ruhig und traumlos. Zuerst beobachtete ich ihn. Ich sah wie friedlich er da lag, er sah so verletzlich aus, ich hatte Angst ihn zu wecken und stand völlig still.
Ich betrachtete seine feinen Gesichtszüge, sein wirres Haar, er lag einfach nur da, tat nichts als nur da zu liegen, und doch durchströmte seine Anwesenheit meinen Geist. Ich wollte ihn berühren, doch ich konnte nicht, ich konnte nur dastehen und ihn betrachten. Ich wusste nicht worin meine Aufgabe bestand, noch wer mich hier her befohlen hatte, doch ich wusste, dass dies der Beginn einer Reise war, die schließlich mein Schicksal besiegeln würde, die Freiheit schien mir nicht mehr wünschenswert, ich wollte nicht frei sein, ich wollte mich zum ersten Mal in meiner Existenz von einer höheren Macht leiten lassen, die ob gut oder böse einen Weg für mich vorgesehen hatte.
Und ich war bereit alles dafür zu tun, auch wenn das hieß hier nächtelang zu verharren um über diesen Menschen zu wachen, der mich zugleich bezauberte und quälte.
Ich öffnete meine Augen und sah nichts. Eine tiefe schwarze Leere umgab mich, sie zog mich an und umhüllte mich wie warmes Wasser. Ich kannte dieses Gefühl, einst war ich in eine rote Leere gesunken.
Ohne zu wissen warum, fing ich an zu laufen. Es gab einen Punkt in diesem großen schwarzen Etwas, der mich unweigerlich anzog. Erst als ich näher kam, erkannte ich ihn. Es war eine andere Seele, die mich zu sich gerufen hatte. Eine mächtige Seele, sie musste schon lang auf dieser Erde wandeln. Als ich ihm gegenüber stand fürchtete ich mich, ich fürchtete, dass diese Seele mir meine geliebte Freiheit rauben könnte. Ich spürte wie seine Macht auf mich wirkte, sie war unbeschreiblich, bedrohlich und doch beruhigte sie mich auf eine Art, die mich schaudern ließ.
Es lag etwas so Vertrautes in seinem Blick, dass ich kaum zu atmen wagte.
Ich wusste nicht warum er mich gerufen hatte, doch ich konnte spüren, dass er seine Kinder nur selten zu sich ruft. Er sah mich an, sein Blick durchbohrte mich, las meine Gedanken, meine Seele war sein. Ich spürte eine Welle der Zufriedenheit, es schien mir, als hätte er gefunden wonach er gesucht hatte.
Ich wollte mich ihm zu Füßen werfen, doch es erfasste mich eine unsichtbare Hand, sie zog mich unweigerlich weg von diesem Ort. Ich wollte schreien doch ich konnte nicht, ich wollte zurück zu diesem Wesen, das mich zu seiner Untertanin gemacht hatte. Doch es war zu spät, ich war wieder auf der Erde. Als ich die Augen öffnete, blickte ich in die Augen des Mannes, von dem ich zuvor weggeholt worden war. Er saß aufrecht in seinem Bett, blickte verwirrt um sich, als wäre er gerade aus einem Alptraum aufgeschreckt. Ich blieb bei ihm während er wieder einschlief, denn ich wusste, dass ER es mir so befohlen hatte.
Und plötzlich war alles anders. Ich war nicht mehr glücklich, ich war nicht mehr froh tot zu sein. Wenn Daina schlief huschte ich durch die Stadt, durch die Zimmer, ich sah in unzufriedene Gesichter und es freute mich, denn es bestätigte mich in meiner Entscheidung. Das Leben war es nicht wert gelebt zu werden, der Tod war eine Befreiung, die Welt war ein Ort der Verzweiflung und des Leids geworden, das Paradies war weit entfernt.
Doch eines Abends änderte sich mein Schicksal. Es war der Abend an dem ich in ein neues Gesicht blickte. Als ich in seine Augen sah, war mir, als würde ich zu Eis erstarren. Sein Blick durchbohrte mich wie ein Schwert, mein ganzes Wesen zitterte, es schmerzte mich so sehr und doch konnte ich mich nicht abwenden. Der Schmerz beherrschte mich, er quälte mich, er stillte ein unbekanntes Verlangen, welches tief in mir verborgen lag. Ich wollte schreien doch ich konnte nicht. Ich wollte fliehen doch er hielt mich fest. Wohin ich auch blickte, ich sah nichts mehr außer ihn, wie er da saß, so verloren wie all die anderen auf diesem Planeten, wie er sich quälte in seinem Leben und wie er unermüdlich nach dem Glück suchte, das angeblich auf jeden wartet.
Als er eingeschlafen war zog mich etwas von ihm weg. Ich versuchte mich an ihn zu klammern, suchte nach diesem süßen Schmerz, doch er war verschwunden und schließlich ließ ich zu, dass diese Kraft mich mit sich nahm.
Donnerstag, 10. Mai 2007
Mittwoch, 9. Mai 2007
Daina ist heute früher von der Arbeit zurück gekommen. Nach einem anstregenden Tag hat man sie belohnt. Heute kann sie eine Stunde länger damit zubringen nicht an die Arbeit zu denken. Sie wird eine Stunde länger zu Hause auf der Couch vor ihrem kleinen Fernseher liegen. Wenn sie wieder etwas Kraft getankt hat wird sie sich ihren Fantasien hingeben, den Gedanken daran, wie es wäre wenn es anders wäre. Wenn sie dieses Leben voller Freiheit, Begeisterung und Tatendrang hätte, wenn sie sich täglich neuen erotischen Abenteuern hingeben könnte, wenn sie sich in ihrer Freizeit nicht von der Arbeit erholen müsste, wenn sie mehr Zeit hätte. Für Daina sind das nicht nur Fantasien. Es ist ihre Zukunft, die sie vor sich sieht. Etwas utopisch, etwas optimistisch, etwas realitätsfremd. Aber sie ist überzeugt, wenn sie nur hart genug dafür arbeitet, wenn sie nur genug Opfer bringt, dann besteht zumindest die Chance auf eine Zukunft, wie sie sie sich vorstellt. Und wenn die Wahrscheinlichkeit noch so gering ist, Daina wird weiter kämpfen. Nur noch diese und jene Hürde überwinden, dann kann ihr eigentliches Leben beginnen.
Was Daina nicht weiß - ihr Leben hatte schon längst begonnen, es gefiel ihr nur nicht. Ich weiß das, denn ich beobachte sie. Als ich noch unter euch war, war ich ihre wichtigste Stütze. Was ist sie - ohne mich?
Auch sie selbst hat sich diese Frage gestellt. Was ist sie ohne mich. Ich war ein Teil dieses Lebens, ich habe ihr Leid geteilt, mich an ihrem Leid erfreut, denn es ließ mein eigenes gering erscheinen. Doch ich wusste, dass dieses Leben nicht mein Leben war und so setzte ich ihm ein Ende. Sie muss weiter kämpfen. Zu Beginn sah es so aus als würde sie scheitern, ich beobachtete sie in ihrer Verzweiflung und es bestätigte mich in meiner Entscheidung. Wenn ich sie sah, dachte ich mir immer - so warst du einst, es hätte dich zerstört. Ich war mir somit sicher, dass es keinen Sinn gemacht hätte länger durchzuhalten. Mein Selbstmord war nur die logische Konsequenz aus diesem nicht lebenswerten Leben. Nichts weiter.
Und dennoch kann ich mir nicht helfen, wenn mir die Tränen kommen, wenn die Zweifel in mir aufsteigen. Ich weine, ich schreie und scheitere daran, meine Gedanken zu ordnen. Manchmal scheint mir, als hätte ich aufgegeben, als hätte ich durchhalten müssen. Der Tod hat meine Welt nicht verändert. Ich bin noch immer die selbe, doch mir scheint, als hätte ich einen Teil meiner Selbst verloren.
Doch dann sage ich mir: der leichtere Weg ist nicht immer der schlechteste - und der leichtere Weg ist in Wirklichkeit meist der schwerste.
Dienstag, 8. Mai 2007
Wer auch immer mich sieht, sieht mich nicht. Ich bin ein Schatten, ein Schemen, ich liege, ich schlafe, ich schlage um mich, ich strahle. Meine Augen sind geöffnet, ich sehe euch zu, ich lerne von euch, ich sehe, wie sich meine Fehler wiederholen. Tausendmal wiederholen.
Wir sind gar nicht so verschieden, wusstest du das?
Auch wenn ich jetzt nicht mehr bin, fühle ich deinen Schmerz. Ich versuche dir zu helfen, aber ich bin nicht mehr die Stütze, die ich einst war. Ich kann dir nicht mehr helfen, ich bin das Publikum.
Immer wieder frage ich mich, warum du dir das antust, wieso du nicht einfach fliehst aus deiner Welt. Du glaubst es ist der einzige Weg, du denkst, du müsstest diesen einen roten Faden verfolgen um Anerkennung zu ernten, um anderen zu genügen. Aber weißt du denn nicht, dass es auch einfacher geht?
Ich bin ausgestiegen, ich habe den Strom verlassen und sieh mich an. Mir scheint ich bin nun zum ersten Mal am Leben.